@Rico
Eichmann war ein Beamter. Er fungierte nach "Recht und Gesetz" wie ein Automat. Er handelte bewußtlos, bar jeder Moral und war nicht imstande sich seines Verstandes - im Sinne von actio und reactio zu bedienen. Eichmann war demnach ein unmündiger Zombi.
Tja. Es ist natürlich ein Frage des Maßstabs, welchen man anlegt. Des Maßstabs an den freien Willen bezüglich der Verdrängung.
Eines ist aber gewiß. Hitler hat Eichmann sicherlich nicht persönlich mit dem Schlüssel aufgezogen und ihn auch nicht mit IBM-Lochkarten programmiert.
Und das Eichmann vor Freude 1933 ins Koma gefallen ist, aus dem er 1945 erwacht ist, ist ein schöner Metapher. Allenfall könnte man sagen, er war zu faul nachzudenken.
Und nein, Eichmann funktionierte nicht nach "Recht und Gesetzt", jedenfalls nicht nach den offiziellen, nur nach den geheimen, verborgenenen. Um die zu erfassen, braucht es aber eine Referenz, welche somit bewussr vorhanden war. Jeder Ladendieb weis, dass es im Grunde besser wäre, mit Geld ehrlich einzukaufen, sonst würde er sich nicht verstohlen vorsehen. Jeder Dieb würde vom Richter ausgelacht werden, wenn er behaupten würde, ihm war die Unrechtmäßigkeit nicht bewußt, wenn doch das Videoband zeigt, dass er sich beim einsacken umschaut, ob ihn jemand zuschaut.
Das einzige Argument was zählt wäre, dass der Dieb seine spezielle Rechtsvorstellung für richtig, die der anderen für falsch hält.
Das berührt den kategorischen Imperativ oder die Goldene Regel. Jemand könnte behaupten, dass diese gar keine Gültigkeit hat. Wo steht, dass es gut ist gut zu sein? Das ist die Auffassung der Guten, behaupten die selbsternannten Bösen um damit ihren Platz in der Welt zu beweisen.
Ein scheinbares Patt.
Und damit beginnt der Krieg der Knöpfe.
Aber aus dieser Mühle kommt man raus.
Um zu behaupten, dass es keine goldene Regel gibt, muss man sie kennen und für sich abwählen. Und genau dem liegt ein Urteil zu Grunde, was das Kriterium für den freien Willen ist.
Und nun verbleibt nur noch die Ausrede, dass es keinen freien Willen gibt, dass Urteil somit vorbestimmt ist.
Und so landet man in Wortklauberei und Gedankenfasching.
Der Trick das Patt aufzulösen liegt in der Eichmanngeschichte in der Trennung in der Betrachtungsweise. Man betrachtet die Zeit vor 1945 und sein Verhalten in Jerusalem 1961. Wenn Eichmann vor 1945 bewußtlis gehandelt hat, dann stehen im Prozess zwei Möglichkeiten offen. Er war immer noch in diesem Zustand oder er ist zwischzeitlich aufgewacht. Im zweiten Fall kann er korrektiv handeln (Reue, Erklärung) oder nicht. Er hat nicht korrektiv gehandelt, ergo sein Verhalten entspricht scheinbar dem Fall eins.
Wir stehen immer noch unter der Hypothese, dass er vor 1945 unbewußt war, 1961 nicht. Dann hätte er aber erkennen können, dass es ein Fehler war. Dann hatte er korrektiv gehandelt, d. h. er wäre ehrlich geworden. Oder er hâtte sich nicht korrektiv verhalten, weil es Gründe gab. Entweder er hatte noch etwas zu verbergen oder es war ihm peinlich. Die Nebenfrage lautet, was kann angesichts seiner Taten noch schlimmer und peinlicher sein? Ganz klar. Er selbst und seine Motive.
Was Eichmann nicht gemacht hat und auch kein anderer, sich als Märtyrer für die falsche, verlorene Sache präsentiert (Außer Rudolf Hess, aber der war seid 1941 in Gefangenschaft.
Auch dafür kann es Gründe geben. Entweder es war nie seine Meinung, oder er hat sie geänder oder er hielt es für opportun, das nicht zu verkünden.
Aber auch die umgedreht Variante besteht. Er hätte das Verkünden können ohne es zu meinen.
Das kann man alles unter zweckrationalen Gesichtspunkten durchbuchstabieren. Man kann das auch unter spieltheoretischen Gesichtspunkten sehen. Eines ist klar, auch 1961 hat Eichmann gespielt und seine Optionen geprüft.
Unterstellt man Eichmann ein Pokerspielsystem, dann muss man die Möglichkeit eines Bluffs berücksichtigen und auch wissen was ein Bluff ist. Ein Bluff ist eine hochstufige Angstreaktion. Eichmann hat sich als Unmensch und nichtverstehender Bösewicht hingestellt, er hat weggeblufft, dass er ein Mensch ist.
Mam muss ja nur mal hinschauen. Der saß in Jerusalem in einer Glaskiste in einer völlig feindlichen Umgebung, hatte was auf dem Kerbholz, und war umgeben von Leuten, welchen Grund zur grausamster Rache hatten. Als guter Taktiker, muss er Schwâchen ausnutzen und Stärken des Gegners zu seinem Vorteil gegen sie selbst richten. Das hat er getan. Er hat ihr Festhalten an einem Rechtssystem ausgenutzt und genau diese Vorstellung geliefert, welche die Richter im Glauben an ihre überlegene Moral sehen wollten. Das Ziel war, dass sie ihn nicht doch noch in heißem Öl baden.
In Wirklichkeit war er ein Mensch, mit normalen Regungen, was Angst vor Schmerzen einschließr, welcher in einer Situation war, in der eine Scheiß Angst hatte. Diese galt es um jeden Preis zu verbergen.
Eichmann war gewieft und gerissen. Er wahr nur ein polpliger Obersturmbahnführer (Entspr. Oberstleutnant) und Judenreferenten gab es massenhaft in jeder Behörde. Er hat aber eine Macht ausgebaut, sich Freiräume erschaffen, einen Schaden promotet und eine Bedeutung erlangt, was seinem formalen Rang und Stellung bei weitem übersteigt. Die Israelis hatten schon der richtigen Mann eingefangen.
Betrachtet man Eichmanns Gesicht in der Glasbox, dann zeigen sich verschiedene Gesichtsausdrücke. Langweile, Verächtlichkeit, Stumpfsinnigkeit, Beflissenheit. Dabei fällt auf, dass kein einheitlicher Gesamteindruck entsteht. Das saß ein Niemand, nicht ein Jemand.
Das ist kein Wunder, denn diesen Eindruck wollte Eichmann erzeugen. Es ist die Erweiterung des eiskalten Poker-Faces. Man gibt den Deppen, der seine Gefühlsregungen nicht unter Kontrolle hat. Der Gegner ist damit befaßt ein Gesamtbild zu formen, was aber nicht gelingt, weil alles widersprüchlich ist und wird davon abgelenkt, dass überhaupt geblufft wird. Denn eine Regung zeigt Eichmann nie. Angst. Obwohl er allen Grund hat. Würde er nicht Bluffen, wäre eine Angstreaktion normal und würde ihm womöglich sogar Symphatiepunkte einbringen. Auf keinen Fall würde eine Angsreaktion schaden, außer beim Bluff. Sei es nur für die Erteilung der Zigarettenration.
Wie schwer Eichmann das fällt die Scharade durchzuhalten, kann man an seiner Reaktionen ablesen.
Ich könnte jetzt noch 30 Seiten schreiben. Aber es sollte für einen Eindruck reichen. Klar sind das nur Indizien. Aber auf der Gegenseite steht nur die Behauptung, dass Eichmann der böse Unmensch war, der automatisch gehandelt hat. Die Behauptung nutzte Eichmann, er hat Verwirrung hinterlassen, weil er das so wollte. Niemand hat das verstanden. Es war aber ein zwechrationales Kalkül. Und weil er keine Alternative hat, beweist genau dieser Umstand seine Urteilskraft und somit seinen freien Willen
Ganz klar ist das ein Turing-Test.
Und ich habe kaum an der Problematik gekratzt.
Nur mal was zum Spiel. Um Pokern zu können, benötigt man Einbildungskraft. Man muss sich in den anderen Einfühlen können, was Urteilsvermögen, eine Meinungsbildung, und ein Selbstbild besitzen. Klare Zutaten für den freien Willen.
Der Turingtest ist dann bestanden, wenn man beweisen kann, dass der andere lügt und nicht nur irrt. Dabei ist zu berücksichtigen, dassbin diesem Turingtest, der Probant aus Eigeninteresse vermeidet, erkannt zu werden. Und das ist die Schwachstelle.
Das ist ein Ding mit Pfiff.
Das Verhalten von Eichmann vor 1945 muss widerspruchsfrei zu dem Verhalten 1961 passen. (Zwei Systeme, welche in Korrespondenz sind) Es muss kompossibel sein. Tatsachenwahrheiten sind in ihrer Konsitenz fragil, weil es immer so oder auch anders sein kann. Die Konsequenzen müssen im Bereich des Möglichen liegen.
Das Modell muss geerdet werden können. Es muss falsifizierbar sein. Und das Ergebnis muss repruduzierbar sein. Und klar es steht unter der Prämisse, das Eichmann ein banaler Mensch war. Kein Über-,Unter-, Bösemensch. Er wurde gehenkt und war danach tot. Sehr menschlich.
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Warum wir uns damit so schwer tun, die Tatsachen bei Eichmann zu sehen, hat einige interessante Gründe.
Aber auch die übergeordnete Ebene ist interessant.
Jede freie Entscheidung kann unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen. Die Illusion, dass das Orakel entschieden hat, ist ungemein Zweckmäßig. (Walter Moers > Rumo > Ornt la Okro, das Orakel)
Zweitens, die Option "böse" zu handeln ist für jeden eine zusätzliche Option.
Was du über die Umstände schreibst ist völlig richtig. Das hat riesigen Einfluß, ist aber eine Beruhigungspille. Es dient nur als Kulisse, für die freien Willensentscheidung, welche mal mehr oder weniger mit Urteilskraft, d. h. klugem Weitblick getroffen werden.
Glaub mir. Mit dieser Frage sind wir noch lange nicht am Ende.